Mein Gott, ist der echt?
Sie wurde ärgerlich.
Solche Leute verderben einem den ganzen Spaß!
Jan war beeindruckt. Sie war groß, hübsch, gute Figur, mit Geschmack zurechtgemacht ... und in Anbetracht ihres Alters erstaunlich gut gebaut. Jan grinste. Das würde sie witzig finden. Hallo, sagte er und setzte sich neben sie.
(Sie fand es tatsächlich witzig. Sie hatte es zwar schon ein paar dutzend Mal zu hören bekommen, aber das wußten weder Jan noch sie.)
"Mir gefällt es hier nicht."
Ja, irgendwas war mit dem Laden nicht in Ordnung. Es waren auch nur ein paar Leute da, und die Unterhaltung verlief eher mühsam.
"Laß uns gehen, okay? Wir haben schließlich nicht alle Zeit der Welt ..."
Das fand sie wieder ganz lustig. Den Prosecco ließ sie trotzdem stehen.
Das Mädchen, das die Getränke brachte, war ein Trampel.
"Ach nein, das tut mir leid ..."
Mit kaum sichtbarem Erfolg wischte sie in der Pfütze herum, die nur kurz vor der Tischkante und vor Isabels Strümpfen Halt gemacht hatte.
"Ich bin ein bißchen ungeschickt ..." Sie versuchte es auf die lustige Tour zu verkaufen. "Schon letzte Woche hab ich ..."
Sie merkte selbst, daß sie etwas Falsches gesagt hatte, kicherte hilflos und wurde rot. Jan und Isabel warfen sich einen genervten Blick zu.
Auch hier würden sie nicht mehr lange bleiben.
Schlimm war vor allem, daß Jan es auch gemerkt hatte.
Eben war er noch so gut aufgelegt gewesen, aber jetzt wurde er sichtlich ein bißchen nervös, fummelte an seinem Ohrring herum. Sie lehnte sich zum Bartender hinüber, um nochmal nachzufragen, aber der nickte schon, bevor sie den Mund aufgemacht hatte. Der Bartender kannte sowas offenbar schon von früher. Das Personal ging nicht jede Nacht in die Tanks zurück; sie hatten einen längeren Zyklus, damit sie ihre Sachen managen konnten, und niemand störte sich dran, weil sie's normalerweise nicht heraushängen ließen. Ganz tolle Leute waren das, wie die Kundschaft selbst. Die Mädchen extra niedlich, die harmlosesten Fältchen diskret überschminkt, die Jungs glattrasiert, super angezogen und gut riechend.
Ganz anders als dieser Kerl hier.
Gott, war der eklig!
Und – o nein, ich glaub's nicht – er steuerte direkt auf sie zu!
"Ich hab keine Möglichkeit, ihn rauszuschmeißen, solange er nichts tut", sagte der Bartender ungefragt. Er zwinkerte. "Vorschrift, Mädchen, du weißt es. Aber wenn er auch nur Anstalten macht, dich anzufassen, fliegt er schneller raus, als er gucken kann. Okay?" Der Bartender grinste breit; sie wurde etwas ruhiger. Trotzdem gefiel es ihr gar nicht, daß der Typ sie tatsächlich anquatschte. Er war nicht nur unrasiert und – Gott, wie daneben – alt, sondern er stank auch noch. Der trank offensichtlich keine originellen Cocktails wie ihre Leute, sondern billigsten Fusel. Die Echten würde sie nie verstehen. Sie hatte ja schon Mühe mit denen, die freiwillig auf einem Monat waren oder sogar auf zwei.
Solche Leute waren so vulgär!
Der Typ setzte einen weinerlichen Gesichtsausdruck auf. Was sollte denn das für eine Anmache sein?
"Isabel, du mußt dich doch an mich erinnern! Sag doch nicht wieder, du kennst mich nicht ... Isabel, ich hab dich doch geliebt, wie kannst du denn das vergessen?"
Der Bartender tippte an seine Stirn, ohne daß es der Typ sehen konnte, und zwinkerte ihr wieder zu. Ja okay, er spinnt, dachte sie, aber woher um alles in der Welt kennt er meinen Namen? Es wurde ihr zuviel.
"Sie wissen genau, daß wir uns nicht kennen können", fauchte sie ihn an. "Ich bin heute morgen aus meinem Tank gekrochen, genau wie meine Freunde und die anderen Leute hier, und zwar genau aus dem Grund, damit wir nicht so einen Riesenmüll hinter uns herschleppen müssen, wie Sie es offenbar tun ... Das einzige, was ich je in meinem Leben gemacht habe, war ein ganz toller Brunch heute früh und ein bißchen Shopping heute nachmittag, und Sie wissen auch genau, daß ich nicht mehr allzuviel Zeit habe; in ein paar Stunden bin ich weg, aber ich habe meinen Spaß gehabt! Also dürfte ich mich vielleicht weiter mit meinen Freunden unterhalten, die ich vorhin kennengelernt habe? Ich habe nur noch ein paar Stunden, und die will ich so lustig wie möglich verbringen. Noch ein bißchen tanzen, und ganz bestimmt noch ein bißchen vögeln – wozu ist das Leben sonst da? – aber ganz bestimmt nicht mit Ihnen, alter Mann! Möchte wissen, wer das fertiggebracht hat ..."
"Isabel!" heulte er und packte sie am Oberarm.
Er flog tatsächlich schneller raus, als zumindest sie gucken konnte. Aber ihr saß ja auch der Schock in den Knochen. Sie rieb sich eine Zeitlang mechanisch die Stelle, wo der Typ sie angefaßt hatte, dann trank sie ihren Cocktail in einem Zug leer und knallte das Glas auf die Theke.
"Gehen wir!"
"Wurde eh Zeit", meinte Jan. "Zwei Clubs müssen wir heute mindestens noch machen!" Und alle lachten.
"Wir sehen uns", sagte der Bartender zum Abschied und zeigte ein letztes Mal seine Zähne. Nun, wenigstens von seiner Seite aus würde es wahrscheinlich stimmen.