"Das ist schon ... beeindruckend".
Und in der Tat: Die vier kleinen Büscheläffchen der Art Callithrix geoffroyi, die sich am Gitter ihres Käfigs festkrallten und lieb aus ihren bernsteinfarbenen Äuglein guckten, hatten für ihre Körpergröße (zwanzig Zentimeter, verriet das Schild) geradezu überdimensionierte Hodensäcke, rosafarbene Blickfänge im anthrazitfarbenen Fell.
"Die Sackäffchen sind süß. Aber jetzt will ich zum Ameisenbär." Wir gingen weiter, die Äffchen trillerten leise.
Dabei hätten wir's belassen sollen.
Der Ameisenbär hatte sich in seine Höhle verkrochen, die Goldkatze war nicht auffindbar, und die Quallen hinterließen uns ratlos. So fanden wir uns im Affenhaus wieder, obgleich wir beide ein eher reserviertes Verhältnis zu Menschenaffen hatten: Die Menschenähnlichkeit in ihrem Verhalten irritierte uns, und zusammen mit der Gefangenschaft stellte sie uns Fragen, die wir nicht beantworten wollten. Lustlos drückten wir uns an Orang-Utans vorbei, die uns melancholisch nachschauten; vor den Schimpansen machten wir Rast, weil sie in erster Linie von hinten zu sehen waren, und die moralische Erleichterung überwog unsere ästhetischen Zweifel. Als Karin unter lautem Knistern ein Bonbon aus den Tiefen ihrer Handtasche zutage förderte, hörten wir ein leises Rascheln im Blattwerk über uns.
"Schau mal! Die haben hier auch Sackäffchen!"
Ein Büscheläffchen hatte sich an einem dünnen Ast über unserer Bank festgeklammert und sah uns neugierig an.
"Knister doch nochmal!"
Das Äffchen legte den Kopf schräg und verfolgte den Weg des Bonbons mit erwartungsfrohen Blicken.
"Paß auf, daß es dir das Bonbon nicht klaut. Das ist bestimmt ungesund."
"Sackungesund", antwortete Karin, denn das Tier war ein Männchen. Sie knisterte noch ein bißchen.
Erneutem Rascheln im Laub folgten drei weitere Büscheläffchen. Die Familie war komplett: ein Elternpaar mit zwei dunkelgesichtigen Kleinen. Eines davon hatte sich im Fell der Mutter festgeklammert, das zweite saß neben seinen Eltern auf dem Ast, und beide schafften es, die Erwachsenen an Niedlichkeit noch zu übertreffen.
"Ach Gott, wie lieb!"
Karin stellte ihre Handtasche mit einer ruckartigen Bewegung auf den Boden, was zwei der Äffchen zu einem kleinen schreckhaften Sprung veranlaßte, doch ihre Scheu wich der Faszination, als das Bonbonknistern fortgesetzt wurde. Die Eltern rückten näher auf ihrem Ast heran. Als Karin das Bonbon schließlich vollends ausgepackt hatte und in ihren Mund schob, schienen die Tiere weniger enttäuscht als verwirrt zu sein.
"Ich muß das fotografieren. Die sind so süß!"
Die Konfrontation mit Karins Smartphone (aus nächster Nähe, des Bildes wegen) versetzte die Familie in einen Zustand kompletter Aufregung. Die Tiere fiepten laut und schrill, zappelten auf ihrem Ast und wandten ihre Köpfchen hektisch zwischen dem Apparat und uns hin und her. Wir vermuteten, daß sie sich in der glänzenden schwarzen Oberfläche des Telefons reflektierten und es ihr Spiegelbild war, auf das sie so irritiert reagierten.
"Vielleicht wußten sie nicht, daß sie kleine süße Äffchen sind?"
Das Foto war im Kasten, das Smartphone wieder verstaut; erst verschwanden die Äffchen, dann wir.
Sobald wir es einrichten konnten, gingen wir wieder in den Zoo, um unsere neuen Freunde zu besuchen. Im Affenhaus fanden wir allerdings statt der Sackäffchen eine Tierpflegerin vor, die damit beschäftigt war, einem depressiven Gorilla durch die Plexiglasscheibe hindurch Mut zuzusprechen. Da diese Tätigkeit sie nicht auszulasten schien und außerdem an ihren Fingern zwei auffällige Heftpflaster prangten, erkundigten wir uns nach ihrem Wohlergehen.
"Was ist denn da passiert?"
"Ach, nichts Schlimmes. Ich bin gestern gebissen worden, als ich dem Jungtier von den Büschelaffen einen Chip verpassen wollte. Die sind zwar klein, aber sie haben sehr spitze Zähne."
"Das Jungtier? Das waren doch zwei?"
"Ja, das andere haben wir leider letzte Woche tot gefunden. Krank war es nicht; wir haben keine Ahnung, woran es gestorben ist."
Wir sprachen unser Beileid aus und warteten, bis die Tierpflegerin das Affenhaus auf der Suche nach neuen Aufgaben verlassen hatte. Wir wollten unsere Beziehung zu den kleinen Äffchen vertiefen und hätten uns befangen gefühlt, wenn wir dabei von den Autoritäten beobachtet worden wären. Karin hatte vorsorglich Nüßchen im Teigmantel mitgebracht, die beim Zerbeißen ein extra lautes Geräusch machten und sich daher hervorragend als Lockmittel für neugierige Büscheläffchen eigneten.
"Ich weiß nicht ... Meinst du nicht, wir sollten die lieber erstmal in Ruhe trauern lassen oder so?"
"Quatsch, die sind jetzt sicher über eine Ablenkung froh."
Karin zückte ihr Telefon, und ich steckte mir, dem Plan entsprechend, ein Nüßchen in den Mund. Noch vor dem ersten Knuspern bewegte sich das Laub in unserer Nähe, und die Mutter der reduzierten Familie hüpfte, offenbar ungerührt von ihrem Verlust, auf die Informationstafel, die sich mit ihr und ihrer Verwandtschaft befaßte. Karin trat für eine Nahaufnahme an die Tafel heran, so nahe, daß das Tier sich mit den beiden Vorderpfoten am Telefon festklammerte und uns dabei unablässig anzirpte.
"Das fühlt sich ja lieb an! Ganz weiche Pfötchen ... Was denkst du, daß es uns sagen will?"
"Hm ... Vielleicht will es ... Ach guck mal, da ist ja das Junge!"
Während ich den Kopf drehte, um das verbleibende Jungtier in Augenschein zu nehmen, hörte ich Karin fluchen.
"So ein Mist! Die haben mein Handy!"
Das zweite Elternteil war erschienen, und die beiden Äffchen hatten es tatsächlich geschafft, Karin ihr Telefon zu entwenden, das fast so groß war wie die Tiere selbst. Wir sahen noch ihre gestreiften puscheligen Schwänze im Baum verschwinden, unerreichbar hoch für uns. Das Jungtier saß noch auf einem Zweig und sah uns niedlich an, aber uns fehlte die Muße, den putzigen Anblick angemessen zu würdigen.
"Komm, laß uns zu einem Pfleger gehen. Ich will das Ding wiederhaben, das war teuer."
"Besser nicht, sonst kriegen wir Ärger. Schau das Schild: Die Affen nicht füttern und auch nicht anfassen!"
"Aber die haben mich angefaßt!"
"Ich weiß nicht, der Unterschied ist möglicherweise zu subtil. Fragen wir halt in ein paar Tagen nochmal nach, vielleicht taucht es ja wieder auf."
Einige Zeit später – das Smartphone blieb verschwunden – saßen wir vor dem Fernseher, warteten auf die Nachrichten und erduldeten die Werbung. Ein Joghurt ging in einer Aureole über einem Planeten auf, majestätisch begleitet von den ersten Takten von "Also sprach Zarathustra". Mir fiel das Glas aus der Hand.
"Oh Gott! Oh Gott!"
"Was hast du denn?"
"Erinnerst du dich an '2001'? Den Film? Der schwarze Monolith? Der den Affen Intelligenz verleiht und sie lehrt, Werkzeuge zu gebrauchen?"
"Hihi, das ist ja wie bei den Sackäffchen und dem Telefon!"
"Ja, genau! Aber erinnerst du dich auch, was dann passiert?"
Ich legte die DVD ein. Der Tapir fiel in Zeitlupe, und Kain erschlug Abel.
Es lief uns kalt über den Rücken.
Ängstlich sahen wir im Netz nach. Auf der Webseite des Zoos gab es nichts Bemerkenswertes bis auf ein Gästebuch, das offensichtlich von legasthenischen Analphabeten bestückt worden war. Aber bei den Nachrichten aus der Region wurden wir fündig. Ein Zoowärter hatte einen tödlichen Sturz erlitten; er war anscheinend unglücklich hingefallen, nachdem ihm beide Achillessehnen durchgebissen worden waren.
Wir sahen uns an; in diesem Moment klingelte es auf dem Festnetz, und wir zuckten synchron zusammen. Ich hob ab, aber vom anderen Ende der Leitung war nur ein leises Zwitschern zu hören.
Wir gehen nicht mehr ran.