efc news 35 April 2003 |
In meinen Wunschträumen sehen alle, was ich sehe, wollen alle, was ich will, denken alle, was ich denke, vermehren alle meinen bereits obszön großen Reichtum: Völker der weiten grünen Erde, küsst meinen beschissenen weißen Arsch bis ans Ende aller Zeiten.
Michael Brownstein in: Lettre international, Heft 60/2003 – Ein Satz zur Weltlage
Itzt ist's Leben Freyd und Wonne! Bagdad ist "gefallen", Saddam bedroht Deutschland nicht mehr mit Atomraketen, und die Iraker sind endlich frei, zumindest so frei, die Krankenhäuser und historischen Museen auszuplündern. Für die Bewachung sind leider keine amerikanischen Soldaten übrig; die Wachmannschaften sichern ja schon die Ölfelder. Sorry! Der Rest der Truppe bekämpft derweil "vereinzelte Widerstandsnester" und jagt – dead or alive – die irakische Führung nebst Angehörigen zusammen. Die Frage nach der völkerrechtlichen Legitimierung solchen Cowboy-Gehabes wird schon längst nicht mehr gestellt; stattdessen bewegt etwas ganz anderes die Weltöffentlichkeit: Wie geht es Mohammed Said al-Sahhaf, dem allseits beliebten und gänzlich unbärtigen irakischen Informationsminister?
"Wir haben einen fiktiven Präsidenten, der uns aus fiktiven Gründen in den Krieg schickt", schimpfte Michael Moore bei der Oscar-Verleihung. Al-Sahhaf – unser liebster Moslem seit Plisch & Plum, den putzigen Taliban-Sprechern – hatte sich bis zuletzt tapfer darum bemüht, auch während des Kriegsverlaufes für eine gehörige Portion Fiktionalität zu sorgen, übrigens ganz einträchtig mit den Presseoffizieren der Gegenseite ("Umm Kasr ist unter Kontrolle"). Wäre dieser Krieg doch nur eine Inszenierung im Stil von "Wag the Dog", wie der Informationsminister mutmaßte (http://www.welovetheiraqiinformationminister.com)! Leider ist der Wahnsinn echt, und es geht immer weiter. Laut al-Dschasira sind die Amerikaner in Basra mittlerweile dazu übergegangen, auf Demonstranten zu schießen, die gegen die neue Verwaltung protestieren; in Bagdad untersagten US-Soldaten den Journalisten Aufnahmen von Protesten unter Androhung von Verhaftung, berichtet der unermüdliche Stefan Kloss. Auf den amerikanischen Informationsminister für Irak darf man gespannt sein.
Gleichzeitig will ich Ihnen sagen, daß wir, die Herrscher, manchmal sehr engstirnig sind und Kritik schlecht vertragen. Das bedeutet nicht, daß wir die Wahrheit gepachtet haben. Niemand darf behaupten, ihm allein gehöre die Wahrheit. Niemand kann die Wahrheit monopolisieren.
Saddam Hussein, Interview in: Die Weltwoche 15/2003
Nach dem Fall von Bagdad, irgendwo in der Wüste in einem Zelt.
Saddam 1: Tja, Kinder, jetzt haben wir ein Problem.
Saddam 2: Wieso Problem? Ich dachte, wir hätten festgestellt, daß ich der echte bin!
Saddam 3: Das hast du vielleicht festgestellt. Ich selber denke, daß ich es bin, und wenn nicht, dann noch eher der hier drüben als du. Schon alleine dein Schnauzbart ...
Saddam 2: Also, das disqualifiziert dich schon mal vollkommen. Wenn du's wärst, hättest du ja wohl keine Zweifel, oder? Und was bitte hast du an meinem Schnauz auszusetzen?
Saddam 3: Jetzt hör doch auf! Tu doch nicht so, als wärst du dir völlig sicher! Seid mal ganz ehrlich, ihr zwei: Denkt ihr nicht auch manchmal, daß ihr's vielleicht doch nicht seid? Hm?
Saddam 1 und 2: Naja ...
Saddam 3: Und überhaupt, ich verstehe gar nicht, warum ihr euch so um den Job reißt. All die Verantwortung, die es mit sich bringt, so ein großes Land zu regieren. Die endlosen Kabinettssitzungen! Die blöden Fernsehansprachen! Säurebäder noch vor dem Frühstück!
Saddam 1: Hab ich auch keinen Bock mehr zu, aber als echter Saddam Hussein und damit Vertreter des ruhmreichen irakischen Volkes ist es meine Pflicht ...
Mohammed al-Sahhaf: Entschuldigung, wenn ich mich einmische, aber im Moment gibt es eigentlich nicht viel mehr zu regieren als dieses Zelt hier ...
Saddam 2: Wie redest du denn daher? So kenn ich dich ja überhaupt nicht? Bist du vielleicht selber ein Doppelgänger?
Saddam 3: Und außerdem haben wir noch die Kamele!
Saddam 1: Leute, so kommen wir nicht weiter. Vielleicht könnten wir uns einfach zur Wahl stellen?
Saddam 2: Wahl? Soweit kommt's noch! Und von wem willst du dich denn überhaupt wählen lassen? Ist ja niemand mehr da!
Mohammed al-Sahhaf: Also, ich würde euch alle drei mit je hundert Prozent wählen. Wie in den alten Zeiten ...
Saddam 3: Tolle Idee, wirklich. Ich sag euch eins: Gehen wir nach draußen und tragen's dort aus!
Saddam 1: Vergiß es. Denk doch an unser Hüftleiden!
Mohammed al-Sahhaf: Warum hauen wir nicht einfach ab?
Alle: Mit der Fresse?
They are nowhere ... they are nowhere, really.
Mohammed Said al-Sahhaf
Geschichte wird gemacht. Nur für den 21jährigen Ali geht nichts voran. Kurz vor dem Sturz des irakischen Regimes fällt seine Mutter, Saddam Husseins loyale Hausmeisterin, nach einem Herzinfarkt ins Koma – und verschläft den Siegeszug des Kapitalismus. Als sie wie durch ein Wunder nach acht Monaten die Augen wieder aufschlägt, erwacht sie in einem neuen Land. Sie hat nicht miterlebt, wie West-Autos und Fast-Food-Ketten den Irak überrollen, wie Coca Cola Jahrzehnte des Baathismus einfach wegspült. Erfahren darf sie von alledem nichts: Zu angeschlagen ist ihr schwaches Herz, als daß sie die Aufregung überstehen könnte. Ali ist keine Atempause gegönnt. Um seine Mutter zu retten, muß er nun auf 79 Quadratmetern Einliegerwohnung im unzerstörten Präsidentenpalast von Tikrit Saddams Irak wieder auferstehen lassen. Schnell stellt er fest, daß sich dieser Plan schwieriger umsetzen läßt als erwartet ... (aus dem Kinoprogramm)
On March 21 (...) an "embedded" CNN correspondent interviewed an American soldier. "I wanna get in there and get my nose dirty," Private AJ said. "I wanna take revenge for 9/11." To be fair to the correspondent, even though he was "embedded" he did sort of weakly suggest that so far there was no real evidence that linked the Iraqi government to the September 11 attacks. Private AJ stuck his teenage tongue out all the way down to the end of his chin. "Yeah, well that stuff's way over my head," he said.
Arundhati Roy in: The Guardian 02.04.2003
"Warum hassen sie uns so?" hieß es nach dem berühmten 11. September, und: "Was sollen wir tun?" Liebe Amerikaner, Milliarden Menschen könnten euch unzählige Gründe nennen, warum man euch haßt, aber ihr seid nicht gut im Zuhören, und ihr habt euch die Antwort lieber selber gegeben: Sie hassen euch, weil ihr frei seid. O Land der Freien, Heimat der einfachen Antworten! Damit ist auch klar, was ihr tun müßt. Bloß nicht nachdenken, ob ihr womöglich auch was falsch gemacht habt in den letzten zehn, zwanzig oder hundert Jahren! Wer denkt denn überhaupt so weit zurück? Schaut lieber nach vorne! Macht es wie eure glorreichen Gründerväter und knallt nieder, was ihr nicht versteht. Macht es wie in euren Hollywood-Filmen und laßt irgendwas mit lässigen Sprüchen auf den Lippen und auf dem Flugzeug explodieren. Krieg ist die Antwort. Der Vater aller Dinge, die Antwort auf alles. Drogen sind ein Problem? Führt den Krieg gegen die Drogen! Terror ist ein Problem? Führt den Krieg gegen den Terror! Und vergeßt nie: Ihr habt die modernste Armee, ihr habt die größten Bomben, und ihr habt immer Gott auf eurer Seite, egal was passiert. Mit dieser Kombination kann nichts schiefgehen.
Nachdem ihr den "Krieg gegen den Terror" ausgerufen hattet, wurde eure Geduld kurzfristig hart auf die Probe gestellt: Es passierte nichts, dafür wurden viele komplizierte Worte gemacht. Das mögt ihr nicht so gerne. Dieser Krieg sei etwas ganz Neues, hieß es: ein Krieg voller Unschärfen und ohne klare Grenzen, nicht gegen ein Land, sondern gegen ein Phänomen, ein Krieg gegen einen im Dunkel operierenden Feind, den man erst ausfindig machen müsse, ein Krieg mit Methoden, die aus der neuen Situation heraus erst noch zu entwickeln seien. Soviel Konstruktivismus! Wer soll denn das verstehen? Aber ihr habt euch nicht beirren lassen und stattdessen auf Altbewährtes zurückgegriffen. Statt die Verantwortlichen zu suchen, habt ihr sie einfach gefunden – hey! Schurken sind sie sowieso alle miteinander –, und am Ende durftet ihr mal wieder ein unterentwickeltes Land bombardieren.
Zwei Dinge habt ihr allerdings in eurem Terrorkrieg wirklich unscharf gelassen: seine zeitliche Dauer und seine Begründung. Und weil ihr ein kurzes Gedächtnis habt, hat jetzt plötzlich Saddam Hussein das World Trade Center in die Luft gejagt, und ihr konntet dasselbe nochmal machen. Beim zweiten Mal haben sich ein paar Leute ein bißchen aufgeregt, aber ihr habt nicht so richtig verstanden, warum. Ihr seid doch die Guten! Das wißt ihr sicher, auch wenn ihr sonst nicht soviel wißt. Und ihr seid für die Freiheit! Deswegen heißen eure Pommes jetzt "Freedom Fries", und ihr müßt beim Fressen nicht mehr an das merkwürdige alte Europa denken. Stellt euch vor, dort würde man Leute, die die Welt auf Befehl des lieben Gottes in Gut und Böse einteilen, eher in die Klapse sperren, statt sie den Staat regieren zu lassen! "Save a bomb for France", stand auf einem eurer Plakate. Das ist die richtige Einstellung! So betreibt man internationale Politik, und wer nicht für euch ist, ist gegen euch. Eure Landsleute, die andere Plakate hochgehalten haben, sind keine Patrioten und überhaupt keine richtigen Amerikaner, genau wie die Dixie Chicks, deren CDs ihr mutig verbrannt habt, so sehr kämpft ihr für die Freiheit.
Eure Pentagon-Pressekonferenz zum Thema "Operation Desert Storm versus Iraqi Freedom" hat mich sehr beeindruckt. Ein Schaubild, dankenswerterweise gleich von CNN selbst aufbereitet: Desert Storm – Ziel: Kuwait befreien, Truppeneinsatz: über 500.000 Mann, Dauer: sechs Wochen; dagegen Iraqi Freedom – Ziel: Irak befreien (was auch sonst!), Truppeneinsatz: über 300.000 Mann, Dauer: drei Wochen. Ihr wollt doch jetzt nicht aufhören, wo es doch gerade so gut läuft? Wie wär's denn mit "Iran befreien", vielleicht nur mit 200.000 Leuten, mal versuchsweise? Oder Libyen? Oder Kuba? Syrien steht ohnehin schon auf der Liste, sofern in dem Land irakische Massenvernichtungswaffen gefunden werden. Irgendwo müssen sie ja schließlich sein, wenn schon nicht im Irak! Und ihr wißt ja: "Das Fehlen von Beweisen ist kein Beweis für das Fehlen von Massenvernichtungswaffen". Jetzt könnt ihr's endlich richtig krachen lassen! Dank sei Osama bin Laden; es hat sich offenbar doch gelohnt, daß ihr den seinerzeit gefördert habt. Daran könnt ihr euch nicht erinnern? Oder daß ihr selber Saddam Hussein aufgerüstet habt? Nicht so wichtig. Wie gesagt: Schaut nach vorne! Und vergeßt lieber bald, daß ihr zur Zeit den Diktator von Pakistan unterstützt, gegen den geht es nämlich übermorgen los. Habt ihr euren Orwell gelesen? Wir sind im Krieg mit Eurasien, wir sind immer im Krieg mit Eurasien gewesen. Wir sind im Krieg mit Ostasien, wir sind immer im Krieg mit Ostasien gewesen. Krieg ist Frieden, und Unwissenheit ist Stärke.
Das mit dem Präventivkrieg habt ihr euch fein ausgedacht, liebe Amerikaner. Macht kaputt, was euch kaputtmacht! Eure Idee trägt bereits Früchte: Deutschlands Freiheit wird neuerdings am Hindukusch verteidigt, und Indien und Pakistan haben auch schon angefangen, Gründe zu nennen, warum der jeweils andere eigentlich der beste Kandidat für einen Präventivkrieg ist. Die Welt ist wirklich ganz schön sicher geworden, seit ihr dem bösen Saddam in den Arsch getreten habt! Den präventiven Einsatz von Atomwaffen habt ihr euch schon längst erlaubt; jetzt müßt ihr nur noch dem Rest der Welt klarmachen, daß ihr das alles dürft, aber sonst niemand. "Wir schulden es der Zukunft der Zivilisation", hat euer Präsident gesagt, "zu verhindern, daß die schlimmsten Führer der Welt die freien Staaten mit den schlimmsten Waffen der Welt erpressen". Also tut eure Pflicht! Die Zivilisation wird es euch danken. Denn die Zivilisation, das seid ihr.