efc news 30 |
- Matten, hier sind extrem seltsame Leute unterwegs!
- Ja, wir!
Wohl wahr, daß ich mich veranlaßt sah, in der letzten Ausgabe auf das jugendgefährdende Potential der LSD-getränkten Zeichentrickserie "Herr Rossi sucht das Glück" hinzuweisen. Einiges an Produkten von zweifelhafter Kindgerechtheit habe ich allerdings noch vergessen, insbesondere Schlemihl, den Drogenhändler aus der "Sesamstraße" (typischer Dialog: Ernie: Was? Was? Nur einen Groschen? – Schlemihl: Psst! ... Genaaau!). Abgesehen davon bin ich der festen Überzeugung, daß das Leben von vielen von uns anders verlaufen wäre, wären wir nicht bereits in früher Kindheit mit "Captain Future" und der entsprechenden Begleitmusik konfrontiert worden. Was aus Heranwachsenden werden soll, die in ihren prägenden Jahren die mittlerweile nicht mehr zu empfangende "Ren & Stimpy-Show" genossen haben, möchte ich mir lieber nicht vorstellen.
Zu all diesem Elend mußte ich zusätzlich feststellen, daß es von Hakle ein Toilettenpapier namens "Super Vlaush" gibt. Möglicherweise wird der Untergang des Abendlandes nicht mit einem Riesenknall eingeläutet, sondern kommt schleichend. In diesem Sinne: Viel Spaß mit dieser Ausgabe! Oder anders ausgedrückt: Moskau, Moskau, wirf die Gläser an die Wand, Rußland ist ein schönes Land, hahahahaha. Moskau, Moskau, Liebe schmeckt wie Kaviar, Mädchen sind zum Küssen da, hohohohoho, hey!
- Mach Toasts, Mann!
- Ja! Die Toasts würden uns genug Kraft geben, um zu Burger King zu gehen!
- Das ist ja eine tolle Tagesperspektive!
Irgendwann werde ich mir nochmal die Lunge aus dem Hals husten. Es wird ein großer Tag sein, und die Menschen in den Straßen werden tanzen und singen, während ein Nudistencorps mit Daffy-Duck-Masken und Schwimmbrillen (Aldi, 2,99) vor unserem Balkon Stellung bezieht und mit drei Salutschüssen all unsere Nachbarn ins Jenseits befördert. Ich meine, ernsthaft, wo leben wir denn? Seifenblasen sind zum Platzen geboren, und alles, was sie hinterlassen, ist ein schmieriger Fleck auf dem Fußboden, auf dem man beim Bierholen leicht ausrutschen kann. Das ist wahrscheinlich auch der Grund dafür, daß Seifenlauge gerne in gelben Verpackungen verkauft wird, denn wissen wir nicht alle, daß Gelb die Farbe der zwischenmenschlichen Beziehungen ist? Andererseits gibt es eine Menge sehr schöner gelber Dinge: Sonnenblumen, Zitronen, Telefonzellen (früher), Ortsschilder, Giraffen (teilweise), um nur einige zu nennen. Also eigentlich kein Grund, sich zu beschweren. Der kleine Überraschungsei-Hubschrauber, den ich hier gerade unter Altpapierstapeln gefunden habe, macht mich auf jeden Fall einigermaßen glücklich. Und, soll ich's verraten: er ist rot.
- Hitler ... Pol Pot ... Milli Vanilli!
Aleks: "Zum Anschauen will ich Schönlinge. Aber Boy Groups – das ist eine echt kranke Scheinwelt."
Inga: "Die Schwulen machen diese Jungen zu Objekten, wie es sonst nur Frauen für Männer waren. Das finde ich total in Ordnung."
Konstanze: "Bei uns in der Klasse sollten auch so nette Jungs sein wie die Backstreet Boys!"
Kimsy: "Die neueren Bands werden niemals den Status von Take That erreichen. Die haben alle einfach keinen Charakter."
(Inga Humpe, Kimsy, Aleks Bechtel und die Schülerin Konstanze diskutieren über Boygroups, ZEIT magazin 2/97)
"Trinken mit dem Christkind: 24. Dezember ab 10 Uhr"
(Plakat an einer Gastwirtschaft in Hannover, Frankfurter Rundschau, 10.12.1994)
Vier Worte, die ich nicht mehr hören möchte:
1. Spaß. "Auf einer der letzten Parties habe ich mit der Hannah zusammen alte Mickey-Mouse-Comics gelesen. Auf einer Bastelseite war die Anleitung für Goofy, der an einem Strohhalm turnt. Den haben wir auch gleich gebastelt und hatten eine Menge Spaß dabei." (Günter Hannig, 16, Fürstenfeldbruck, jetzt 26/95)
2. Interessant. 3. Kreativ. "Ich bin von Eurem Magazin ganz begeistert. Besonders die Titelgeschichten halte ich meist für sehr gelungen. Gerade deshalb, weil Ihr oft Alltagserlebnisse ganz normaler, aber interessanter Leute schildert. Auch das Layout und die Coverseite finde ich ziemlich kreativ." (Tim Hartmann, 19, Recklinghausen, jetzt 45/95) "Modetrends entstehen ja in einer Stadt, oder sind Dörfler etwa Trendsetter? Es gibt viele ausgefallene Leute in der Stadt, die wirklich interessante und kreative Ideen haben, die wir bei den Dörflern aber nicht entdecken konnten." (Anja und Laura, beide 14, München, jetzt 42/95)
4. Kennenlernen. "Wenn mich jetzt einer anlächelt, dann gehe ich davon aus, daß er das nur tut, weil ich vom Fernsehen bin. Es wird nie wieder so nett sein wie früher. Da konnten zum Beispiel wildfremde Jungen zu mir sagen: 'Willst du mit mir Fritten essen gehen?' Das war der netteste Spruch, mit dem mich je einer kennengelernt hat." (Heike Makatsch, jetzt 22/95)
"Auffällig bei Lucilectric ist das Lustbetonte, Konzentration und Beschränkung auf den Augenblick; freilich ohne die ultimative Radikalität von Jim Morrisons 'We want the world, and we want it now'. Keine andere Erwartung als die auf momentane, rasche (natürlich auch rasch vorübergehende) Befriedigung. Konsequent an der kleinen Ausflucht in Sinnlichkeit und Lust ist, daß alle Gewinne unter der Drohung des Endes stehen. Ohne den Rang dieser Lyrics zu hoch anzusetzen – Feier der Süße des Augenblicks und Klage über seine Flüchtigkeit haben in der lyrischen Literatur doch eine weit zurückreichende Geschichte. In der Carmina des Horaz heißt es in II,3: Ob wir nun immer nur trauernd das Leben verbringen oder uns auf entlegener Wiese dem besten Falerner überlassen – 'omnes eodem cogimur', alle müssen wir doch an den gleichen Ort, früher oder später auf den Nachen, der uns über den Totenfluß bringt."
(Frankfurter Rundschau, 22.11.1994)
Nachtrag: Am 27.1.1998 schreibt mir S. Kuzmany mit dem Betreff "Nothing new": "Werde mir jetzt erstmal einen aufbauen, dem Rat unseres guten Freundes Sax folgend, den ich gestern abend auf dem Anrufbeantworter vorfand: 'Ding-Dang-Dong! Stopf die Bong, stopf die Bong! Ding-Dang-Dong! Stopf die Bong, stopf die Bong! Ding-Dang-Dong! Stopf die Bong, stopf die Bong!' Dann hat er aufgelegt. Ich denke, nach diesem Ausspruch kann es keine Kunst mehr geben."
- Waren die nicht telepathisch?
- War das nicht die Fähigkeit nur von dem Löwen?
"Und warum seid ihr nicht reingegangen?"
Zuerst verstand Peters den Major überhaupt nicht; er hörte, was er sagte, wußte, was er meinte, aber er verstand ihn nicht.
Reingehen.
Sie waren tatsächlich nicht in das Gebäude gegangen, aber wer wäre auf so einen absurden Gedanken gekommen? Es zu betreten, wäre ein Sakrileg gewesen angesichts dessen, was sie hier gefunden hatten, angesichts der schieren Unwahrscheinlichkeit des Gebäudes mitten in der Staubwüste unter dem sternschwarzen Himmel. Man konnte das Gebäude nur hinnehmen, man konnte sonst nichts tun.
"Habt ihr eine Videoaufnahme?"
Natürlich nicht; niemandem war etwas Derartiges in den Sinn gekommen. Der Major wußte nicht, was für ein ungeheuerlicher Einfall es gewesen war, auch nur Peters zu ihm zu schicken, wie schwer es war, jemanden dazu zu bringen, etwas Sinnvolles zu tun. Die Alternative wäre Schweigen gewesen.
Peters saß auf der Kante des unbequemen Stuhls vor dem Schreibtisch des Majors und starrte ihn an, die Augenbrauen zusammengezogen, die Hände in einem permanenten Achselzucken nach außen gekehrt.
Natürlich wäre es das Beste, wenn der Major es sich selbst einmal ansehen könnte.
Der Major räusperte sich mit der Hand vor dem Mund; eine angesichts seines Raumanzuges vollkommen überflüssige Geste. Langsam konnte er die lähmende Irritation seiner Leute verstehen. Aus der planen Fläche erhob sich das Unglaubliche. Das Gebäude war hell angestrahlt von den Scheinwerfern, die jemand aufgestellt hatte, um wenigstens irgend etwas zu tun, aber ohne echte Farben vor der Schwärze, die von keiner Atmosphäre gemildert wurde; verschiedene Abstufungen eines gelblichen Grautons, der nicht stumpf war, sondern leuchtete, leuchtete! Die Fassade ragte hoch hinauf, unterteilt in lange, rechteckige Segmente, stellenweise aufgelockert durch runde Formen, die ihr jedoch nichts von ihrer Strenge nahmen. Einige Segmente verfügten über Fenster, die die Schwärze des Himmels widerspiegelten, nicht aber die Sterne. Es war unmöglich, in das Innere zu sehen.
Barock?
Der Major hatte sich nie um Stilkunde gekümmert.
Etwas war falsch.
Vollkommen abgesehen davon, daß das Ding hier stand, am unwahrscheinlichsten Ort von allen: noch etwas. Fast wäre dem Major entfallen, warum er eigentlich hergekommen war. Mit kräftigen Schritten – kräftig gegen die Unsicherheit – stapfte er durch den Staub auf die Fassade zu, einen langen Schatten vor sich hertragend. Niemand machte Anstalten, ihm zu folgen.
Auf halbem Weg blieb er stehen, um sich das Gebäude aus dieser neuen Perspektive anzusehen. War es überhaupt ein Gebäude oder nur eine Fassade? Niemand hatte es gewagt, um das Gebilde herumzugehen. Das Gebäude war bereits so nah, daß der Major den Kopf heben mußte, um bis an das obere Ende der leuchtenden Fassade sehen zu können.
Was um alles in der Welt ist das für ein Material?
Es sah so steril aus, so vollkommen glatt; die Fenster wie aufgemalt, die Flächen fehlerlos rechtwinklig voneinander abgegrenzt. Dem Major schwindelte; er wollte sich hinsetzen und ließ sich einfach in den Staub fallen, ohne den Blick von der Fassade abzuwenden.
Dann spürte er den Druck.
Der Major keuchte, plötzlich gegen den Boden gepreßt von einer Kraft, gegen die er nicht ankämpfen konnte, von der er nicht wußte, woher sie kam. Er versuchte sich zu bewegen, aber sein Körper war gelähmt, als ob er an die Staubwüste geleimt worden wäre, mit jeder Faser seines Körpers einzeln. An den Boden gedrückt, den Blick aus weit aufgerissenen Augen an der Fassade klebend, versuchte der Major zu schreien, zu schreien, aber er wußte nicht, ob ihn jemand hören konnte.