efc news 31 |
Abbreviation: EFC
Signification: Entreprise forestière camerounaise
Reference: Sigles des pays francophones, World Bank, Nov. 1987
Signification: Enquête sur la fréquence de la contraception
Reference: U.N. Terminology Bulletin No. 348, 1995
Die Überlegung "Was tun wir diesen Silvester?" verblaßt in diesem Jahr vollständig vor der Frage "Was tun wir nächsten Silvester?" Wie beginnt man angemessen ein neues Jahrtausend? Besoffen? Die Frage wiederholt sich im Großen. Ist die Menschheit reif für das dritte Jahrtausend? Ich denke: nein. Man kann nicht guten Gewissens das 21. Jahrhundert beginnen, ohne die Probleme des zwanzigsten auch nur ansatzweise gelöst zu haben. Mein Vorschlag: das abgelaufene, gründlich mißratenene Jahrhundert – zwei Weltkriege, Vietnam, Tschernobyl, Bruce & Bongo – ersatzlos aus dem Kalender streichen und nach 1999 wieder mit dem Jahr 1900 weitermachen. Ich habe Zweifel, ob diese Idee mehrheitsfähig ist, aber es bleibt nichts anderes übrig, wenn man sich nicht in drei Lenzen im Jahr 2001 wiederfinden möchte. Was man ansonsten tun kann, um dieses Jahrhundert stilvoll zu Ende zu bringen, steht alles in diesem Heft.
Tonight we're gonna party like it's 1999!
- Der Typ sieht aus wie Grizzlor auf Rollschuhen!
- Rollerblade Grizzlor! Das sind sie, die Neunziger! ... Fit mit der Horde!
"Zur letzten Frage. Wie hießen die Mitglieder der wilden Horde?"
"Hmm ... es gab Grizzlor, Leech, Hordak selbst ... äh ... und Modulok."
"Modulok? Sind Sie sicher?"
"Ja, Modulok! Und ..."
"Hieß der nicht Mantenna?"
"Ja, doch! Mantenna!"
"Es fehlt immer noch einer!"
"Ähm ..."
"Ein Hinweis vielleicht: Es war eine Schlange ..."
"Hmm ... King Hiss?"
"Nein, nein! Tung Lashor!"
"Tung Lashor! Natürlich! Der dann später die Untergruppe der Schlangenmenschen gebildet hat!"
"Richtig! Geführt wurde sie von King Hiss. Und dann gab es noch King Kobra! ... Die Schlangenmenschen! ... Aber auf der Seite der Guten gab es noch eine dümmere Untergruppe: Die Felslinge!"
"Ja, genau! ... Wie hießen die denn nochmal?"
"Hmm ... Stonedar und Rokkon!"
"Genau so hießen sie! Wirklich eine saublöde Untergruppe!"
- Du hast deinen Tagesbedarf an Fett alleine mit den essentiellen Fettsäuren gedeckt! Du zwingst das "Fettarmes Essen"-Spiel in die Knie!
- Ja, und ich bin erst beim Frühstück!
Die Bundesanstalt für Arbeit gibt das UNI magazin mit "Perspektiven für Beruf und Arbeitsmarkt" heraus. Ich finde es sehr interessant, obwohl ich keine Perspektiven habe. Besonders fasziniert hat mich das Unternehmensportrait der Falke-Gruppe ("Für uns sind Strümpfe Mode") in der Ausgabe 5/98. Offenbar muß sich auch die Produktion von Socken mit Kreativität, Innovation und Flexibilität auf turbulente, dynamische Weltmärkte einstellen. An anderer Stelle wird über die studentische Initiative "Communicate" berichtet, die sich zum Ziel gesetzt hat, mit Vorträgen und Workshops "Berufspraxis in die Universität zu bringen". Elisabeth Noelle-Neumann lobt das anerkennenswerte Engagement der Studierenden. "'Mit Communicate haben wir die Möglichkeit, direkt mit interessanten Unternehmen ins Gespräch zu kommen und dadurch die eigenen Berufschancen günstig zu beeinflussen', nennt der BWL-Student Oliver Koch die Gründe, sich bei Communicate zu engagieren".
Zusammengefaßt: "Ich bin ein Arschloch", nennt der BWL-Student Oliver Koch die Gründe, sich bei Communicate zu engagieren. Moral: Studentische Initiativen sind auch nicht mehr das, was sie mal waren.
A propos: "In den Schriften zur Moral der vorläufig letzten Ausgabe der studentischen Zeitschrift ohne titel geifert der Anonymus 'Olga Ollenhauer' unter der Überschrift Ausgebildetes Madenfutter gegen 'senile alte Halbtote', 'verkalkte Wracks' und 'Vampire, die den Jungen das Blut aussaugen, Seminare besetzen und Exkursionsgelder fressen'. Gemeint sind die Seniorenstudenten am Fachbereich Kunst der Gesamthochschule Kassel. Die Schmähschrift endet mit dem Rat: 'Die einfachste Lösung wäre ein Maschinengewehr, das die erste Reihe wegpustet.' (...) Einfältig zu glauben, wir hätten es bei diesem Text beispielloser Verwahrlosung mit Satire zu tun. Wir müssen jeden Satz nur konsequent zu Ende denken und uns fragen, was passiert, wenn solche Gedanken politisch wirksam werden. (...) Hier wird nicht aus wirklicher Not, im Übereifer eines humanen Begehrens protestiert, von einem, der es für seine Pflicht hält, gegen Unrecht sich aufzulehnen. Hier wird von Bürgerkindern, triumphierend in der Banalität ihres Wohlstandes, in hemmungsloser Besessenheit das blinde Zuschlagen propagiert."
(Frankfurter Rundschau, 13.8.1994)
Tom Kummer: Welche Wahrheit spricht aus Beavis und Butt-head?
Mike Judge: Das amerikanische Fernsehen hat die Wirklichkeit abgeschafft. Alles ist gesagt, und es gibt nichts mehr, was es nicht gibt. Das Nichts ist deshalb der letzte Zufluchtsort.
Tom Kummer: Warum sollte das Nichts ein Zufluchtsort sein?
Mike Judge: Alle drängen ins Fernsehen. Sie wollen mittun, mitreden, mitspielen. Sie wollen endlich auch zur Sekte der schönen, modischen, klugen Menschen gehören. Beavis und Butt-head verweigern dieses Mitmachen. Sie spüren, daß alle Witze gemacht, alle Weisheiten gesagt und alle Taten begangen sind. Das Nichts ist der letzte weiße Fleck auf der Landkarte des populären Vergnügens.
(Das Magazin Tagesanzeiger/Berner Zeitung, 47/1997)
Blonde Augen, blonde Zähne
– oh, wie ich mich nach Dir sehne!
Blonde Wangen, blonder Mund:
Sag, wann schlägt für uns die Stund?
Nein, nicht rot sind Deine Augen,
und die Lippen nicht brünett –
wär's so, und das kannst mir glauben,
fänd' ich Dich nur halb so nett.
Und so träum ich von der Sonne,
die im Herzen Du entfachst.
Oh, welch golden lichte Wonne
Du mir ausstrahlst, wenn Du lachst!
Bist Du da? Schnell auf die Lider!
Hasch den Traum, sonst ist er hin!
Weiß ich denn noch, wo ich bin?
– Ja, die Gelbsucht hat mich wieder.
"Kann mir noch jemand Hoffnung geben?
Ansonsten nehm ich mir das Leben!"
– "Stirbst Du, stirbt auch die Depression."
"Verdammt, die Brück' verlaß ich schon!"
Im wunderschönen Monat Mai
hat vieles angefangen;
nicht nur die Knospen, nein,
auch manche Lieb' ist aufgegangen.
Und wie aus Knospen Blüten werden,
so wird die Sehnsucht zum GV;
doch kurz ist alle Lust auf Erden
und bald schon wird selbst letzt'res flau.
Es ist Oktober; schon sind sie sich nicht mehr grün,
und im November fällt der Story letztes Blatt.
Obwohl sie redlich sich bemühn,
es mit der Lieb sein Ende hat.
Drauf folgt der Kummer –
gar grausam sind der Seele Schmerzen –
bis ca. März,
worauf erneut schlägt aus das Herz.
Wer hört's?
Drum wenn mal ihr eins schlagen höret,
laßt eures nicht gleich schmelzen;
denn was so lieblich euch betöret,
ist bloß der Frühling auf zwei Stelzen.
- Zündest du den Moorgeist überhaupt noch an?
- Schon lange nicht mehr!
August. Mein Versuch, im Zug noch das Referat für die Tagung, auf die ich fahre, fertigzubekommen, scheitert nicht nur an fehlendem Schlaf, sondern auch an dem freundlichen älteren Ehepaar in meinem Abteil, das Kommunikation am Rande des Unvorstellbaren betreibt. Beide haben Stimmen wie aus einem Loriot-Cartoon. In diesem Augenblick preist die Ehefrau ihrem Mann gegenüber den ausliegenden Zugbegleiter mit den Worten an: "Mit der Beschreibung in diesem Heftchen weiß man immer genau, wo man ist." Ich sollte dort unbedingt auch mal reinschauen.
September. Ich beobachte fasziniert eine Fliege, die seit zehn Minuten verzweifelt versucht, durch die Scheibe meines Dachfensters zu entkommen, obwohl ich das Fenster längst geöffnet und sogar nach außen gekippt habe. Insekten sind mir ein Rätsel. Wie können kleine Tiere die Welt beherrschen, die so abartig blöde sind? Andererseits – möglicherweise ein weiterer Beweis für die These: Dummheit siegt.
Oktober. In dem Film "Happy Birthday, Türke" ist Privatdetektiv Kemal Kayankaya dabei zu sehen, wie er sich ein Fußballspiel im Fernsehen anschaut und dazu gemütlich eine Bong raucht. Das bringt mich auf eine Idee. Ich habe Probleme, der weiteren Aufklärung des Falles zu folgen; zum Glück habe ich das Buch schon gelesen.
November. Ich habe vor kurzem meinen alten, vollkommen verkalkten Siebeinsatz für den Badewannenwasserhahn durch einen neuen ersetzt, der die Aufschrift "Turbulator" trägt. Der Turbulator und ich bilden jeden Morgen ein dynamisches Duo, ein hart zupackendes Team im Kampf gegen den Schmutz; dabei verbreiten wir den zarten Duft von Lidl-Pfirsich-Schaumbad. Ich fühle mich jetzt den ganzen Tag sehr viel männlicher.
Dezember. Als ich in meinem geliebten Jugendmagazin jetzt blättere, stoße ich auf folgenden Leserbrief:
"Zu: jetzt Nr. 37, '46 Wahrheiten über das Erwachsenwerden, die dir nie jemand erzählt hat': Sie sind ganz schön eingebildet. Einerseits sagen Sie, daß man für das Erwachsenwerden vergessen kann, was man in der Schule und von den Eltern gelernt hat, andererseits geben Sie 46 Ratschläge, die zum Teil ziemlich bevormundend sind und auf die man sich offenbar verlassen kann. Ganz merkwürdig finde ich den Aufruf, aus der Kirche auszutreten. Woher nehmen Sie die Sicherheit, daß alle nur schlechte Erfahrungen mit der Kirche gemacht haben? Es gibt junge Menschen, die sich nicht nur danach richten, was ihnen jetzt gerade Spaß macht, sondern Verantwortung übernehmen wollen aus einer Überzeugung, die im christlichen Glauben gründet. Ich wünsche mir ein bißchen mehr Toleranz vor anderen Überzeugungen. Das gehört für mich auch zum Erwachsenwerden. Davon allerdings reden Sie nicht. – Martin Huber, München" (jetzt 40/98).
Ich bete zu meinem nichtexistenten Gott, daß es sich bei Martin Huber aus München nicht um den mir persönlich bekannten – und zwar als ziemlichen Vollidioten bekannten – Martin Huber aus München handelt. Er könnte es durchaus sein. Es ist ein Abend, an dem alles passieren könnte. Es wird nicht passieren, aber es könnte. Ich blättere um.
Auf der nächsten Doppelseite ist der Schneemensch Yeti abgebildet, der aussieht wie das Wampa vom Eisplaneten Hoth und der eine Holztreppe mit schmiedeeisernem Geländer hinaufsteigt.
- I've been to hell ... and it's marvellous!
Empfangen in Liebe und in Schweiß, geboren aus Blut und Schleim: mein Sohn. Wenn es den Arzt und die Hebammen amüsiert, wie ich aus dem Häuschen gerate wegen einer Handvoll runzeligem, schmierigen Fleisch, sind sie diskret genug, das nicht zu zeigen. Aber wahrscheinlich schleift sich der komische Effekt über die Jahre sowieso ab. Weißkittel sieht so etwas täglich mehrfach. Ich nicht; ich weiß, daß aus diesem zappelnden, verklebten Etwas ein Mensch wird.
Sohn – du wirst sehen, und du wirst fühlen.
Ich erinnere mich an eine Wiese, voll mit Löwenzahn bis zum Horizont. Minus sechsundzwanzig Jahre.
Ich erinnere mich an eine endlose Straße im Sommer; kein Mensch zu sehen, und mein Eis tropft. Minus fünfundzwanzig Jahre, oder mehr?
Ich erinnere mich an Neonlicht, und draußen ist Herbst. Minus vierundzwanzig Jahre.
Ich erinnere mich an eine Waldlichtung bei Regen, an Gummistiefel, Moos und an glänzende Steine.
Versprengte Scherben. Nimm Glas und laß es aus großer Höhe auf einen Steinboden fallen, und dann versuche, alle Stücke wiederzufinden. Ich kann es nicht, aber ich hoffe, du wirst es für mich können.
Auf dem Weg zurück vom Krankenhaus bin ich so erschöpft, daß ich für einen Moment den Eindruck habe, meine Hand wäre an der Gangschaltung festgewachsen. Ich komme nur heil nach Hause, weil kaum mehr Verkehr auf den Straßen ist.
Montag.
Der Dackel zerrt an der Leine wie verrückt; die Schnauze fegt in einem irrwitzigen Zickzack über den Bürgersteig. Ich wünschte, für mich wären diese Spaziergänge so aufregend wie für ihn. Als wir den Waldrand erreichen und ich die Leine löse, wird mein Wunsch wahr.
da da dieser geruch das ist ER wo ist ER ist ER noch in der nähe nein ich bin in sicherheit für den augenblick GANZ RUHIG was ist das für ein geräusch dort unter der erde hier hat es mäuse ich kann sie riechen ich kann sie hören ihnen nach durch das gras durch den schlamm durch die zweige WAS IST DAS FÜR EIN TIER zu klein interessiert mich nicht ich will die maus laufen laufen
Ich fliege über den Waldboden, in wenigen Zentimetern Höhe. Meine Sicht ist verzerrt, und ich sehe Farben, von denen ich nie gewußt habe, daß es sie gibt. Etwas schlägt mir mit solcher Wucht ins Gesicht, daß mir schwarz vor den Augen wird. Sekundenbruchteile später finde ich mich auf der Straße wieder, zehn Meter vom Wald entfernt.
Wie um alles in der Welt ...
Ich gehe zurück zum Wald, um nach dem Hund zu sehen, aber der ist verschwunden. Etwa eine Stunde, nachdem ich zuhause angekommen bin, werde ich ohne jeden Grund unruhig, stehe vom Sofa auf und schaue vor das Haus. Das schmutzverkrustete Wesen, das gemächlich über die Straße in meine Richtung watschelt, ist mein Dackel. Es ist das erste Mal, daß mein Hund mir zuzwinkert.
Ich möchte nicht wirklich wissen, was das Tier gemacht hat.
Dienstag.
Die Anfälle werden häufiger. Das Büro habe ich bereits mittags fluchtartig verlassen, nachdem es mir nicht mehr möglich war, mich verständlich zu machen. Was ich sage, kommt mir klar vor; was die anderen hören, weiß ich nicht. Daß sie mich für wahnsinnig halten, kann ich allerdings aus ihren Reaktionen schließen. Im Gesichtsausdruck meiner Sekretärin lese ich blankes Entsetzen. Aber auch zuhause ist es nicht auszuhalten. Sowohl im Radio als auch im Fernsehen kommen ausschließlich ungarische Programme. Ich weiß nicht, was mit mir los ist.
Oder mit der Welt? Was ist wahrscheinlicher?
Was mir am Fernsehprogramm wirklich Angst macht: Ich verstehe jedes Wort.
Ich muß raus.
In der Garage merke ich erst, daß ich gar keinen Autoschlüssel habe. Als ich ihn in der Diele suchen will, fehlt die Kommode. Ich entschließe mich, mit dem Fahrrad zu fahren und gehe in den Keller. Das Rad ist da, aber ich weiß nicht, wo ich bin.
Mittwoch.
Der Wecker klingelt, ich stehe auf und gehe ins Bad. Mein linker Arm und ein Stückchen von der Milz bleiben im Bett liegen. Nach dem Zähneputzen gehe ich nochmal zurück und hole sie; ich kann so nicht aus dem Haus.
Donnerstag. Vielleicht.
So ist es: Identität ist nur eine biologische Hilfskonstruktion, entstanden irgendwann im Lauf der Evolution als zusätzliches Werkzeug wie Fangzähne oder Klauen, um das Überleben zu sichern. Wohlgemerkt – nicht das Überleben des Einzelnen, denn der ist Fiktion. Es geht um das Überleben der Art, es geht um das Weiterkommen der Gene. Wir sind nur Vehikel für unsere Gene. Es gibt nichts außer der DNS, und alles andere ist ausgedacht. Ich habe meinen biologischen Zweck erfüllt; meine Gene sind wieder für eine Generation in Sicherheit.
Ich pflanze mich fort: ich löse mich auf.
Ich muß Monika sehen. Wenn mir jemand helfen kann, dann sie. Auf dem Weg durch die Krankenhausgänge habe ich Mühe, mit meinem Tempo Schritt zu halten. Ich weiß nicht, wie ich es schaffe, das Zimmer zu finden, aber ich finde es. Als ich hineinkomme, bin ich schon da, ansonsten ist der Raum leer.
Dienstag. Freitag. Mittwoch. Samstag. Montag?
Minus dreiundzwanzig. Ich erinnere mich.
Minus sechzehn, minus zwölf, minus sieben. Ich erinnere mich, also war ich.
Minus fünf, minus zwei, minus eins. Ich war. Ich – bin?
Minus null.
Die Wiese, die Blumen, das Moos und die Steine: Ich bin der Sommer, und ich bin der Wald, und ich bin der Regen.
Plus null.
Versuche nicht, die Scherben aufzusammeln – du mußt werden wie sie!
Ich bin du
bist er
ist wir
Sohn?
Plus eins.
- Und wer sind die?
- Abschaum ... aus irgendwelchem Morast ... ein Haufen Verlorener, die nicht wissen, wo sie sind, und's auch nicht wissen wollen.
Ein Bordellbesuch ist eine unangenehme Angelegenheit. Es fängt an beim Einparken: Nervös die letzte Kippe angezündet, da ahnst Du im Rückspiegel bereits unangenehme Geschlechtsgenossen. Rückwärts rechts eingeschlagen, und der Verdacht bestätigt sich. Vier, vielleicht fünf mit schwarzen Lederjacken bekleidete Schnauzbartträger lachen laut vor dem Eingang des stadtbekannten Freudenhauses. Während Du noch überlegst – die Zigarette ist erst zur Hälfte abgebrannt – erlaubt sich einer der Unseriösen einen Jux: jauchzend springt er kurz auf die Motorhaube eines direkt vor seiner Gruppe geparkten Wagens, federt dann zurück auf den Boden. Ein gewiß sehr sportlicher, wenn auch oberflächlich ziemlich aggressiv wirkender junger Mann, Dich beschämend – denn Du bist genauso alt wie er, aber nicht halb so behende. Die Zigarette ist aufgeraucht, die Eingangsbewachungstruppe plötzlich verschwunden.
Rein?
Die Bar ist so beleuchtet, wie Du die Beleuchtung aus zahllosen Derrick-Episoden kennst, die Möbel und Wände tatsächlich mit rotem Plüsch überzogen. Zu Dir gesellt sich eine leichtbekleidete, korpulente Frau um die vierzig. Auf der Bühne tanzt eine dunkelhäutige Dame lustlos zu Discomusik. Wie es scheint, bist Du der einzige Gast. Das Bier, stellt sich auf Nachfrage heraus, kostet zehn Mark.
Ob Du die Dame auf einen Schaumwein einladen möchtest, das sei hier so üblich? Routiniert befragt sie Dich über Deinen Vornamen, Dein Alter, Deinen Werdegang und Beruf. Deine Geilheit ebbt ab. Der eklen Alten scheint eine Idee zu kommen: ob Du nicht vielleicht "Kessy" kennenlernen möchtest, bleib doch noch ein wenig, damit Du "Kessy" kennenlernen darfst, Bier und Schaumwein gemischt sind übrigens eine Delikatesse, schade, daß Kessy noch nicht von der Mittagspause zurück ist.
Bier und billigen Schaumwein zu mischen, lehnst Du höflich ab. Das Bier ist halb ausgetrunken, ein Piccolo steht vor Dir. Als "Kessy" dann auftaucht, setzt sie sich zwei Reihen vor Dich hin: eine hübsche junge Frau mit langen dunklen Haaren, die eine Cola schlürft. Über der traurigen Striptease-Bühne sind zwei Monitore angebracht. Links läuft ein Pornofilm, der gerade in Großaufnahme in einander verschlungene menschliche Geschlechtsorgane zeigt. Der rechte Bildschirm zeigt die Übertragung eines Fußballspieles.
Rechts von Dir sitzt "Kessy", links die Alte. Ihr stoßt auf den gelungenen Nachmittag an. "Kessy" heißt eigentlich Cathy und ist schon einmal Bungee-Jumping gewesen. War ein irres Gefühl. Du könntest natürlich auch nicht mit ihr, sondern stattdessen mit Cathy ins Separee gehen, meint die Alte. Cathy scheint nichts dagegen zu haben. "Ist Dein erstes Mal, Kessy?" fragt die Alte. Cathy nickt schüchtern.
Erstmal möchtest Du eine Zwischenrechnung sehen. Widerstrebend kündigt die Alte eine an. Das Separee besuchen zu dürfen, bedeutet sie Dir, verpflichte dazu, eine Flasche Champagner zu bestellen. In Dir reift ein Beschluß. Kein guter.