Das Verschwinden der Raucher |
"Derzeit ist es nicht Ziel, das Rauchen in Wohnungen generell zu verbieten", heißt es auf den Seiten von "Pro Rauchfrei e.V. – Lobby der Nichtraucher" [1]. Derzeit. Der "Nichtraucherschutz in Privatwohnungen" bleibt gleichwohl ein Anliegen: Tabakrauch von Nachbarn könnte über Treppenflure und durch Fenster eindringen. Absurd? Überzogen? Früher hätte man auch nicht geglaubt, daß sich ein Bußgeld von bis zu 1000 Euro (je "nach der Schwere der Tat" [2]) für das Rauchen durchsetzen ließe, heute ist es Wirklichkeit. Selbst vielen Nichtrauchern wird es zuviel [3].
Besinnen wir uns auf das Problem: Nichtraucher fühlen sich durch Tabakrauch gestört und in ihrer Gesundheit bedroht, sie sollen stärker geschützt werden. Das sehen auch die meisten Raucher ein. Im Prinzip müßte es möglich sein, Regelungen zu finden, die den Interessen beider Gruppen Rechnung tragen und mit denen beide leben können. Bei einer solchen Interessenaushandlung würde man womöglich bei Raucherzimmern in öffentlichen Gebäuden und in der Gastronomie beim spanisch-niedersächsischen Modell der Trennung von Raucher- und Nichtraucherlokalen landen; letzteres ließe sich noch mit staatlicher Subventionierung oder weiteren Vorteilen für Nichtraucherlokale anreichern, um dem Markt auf die Sprünge zu helfen.
Klingt akzeptabel? Zumindest als Diskussionsgrundlage? Nicht für "Pro Rauchfrei" [4], nicht für die "Nichtraucher-Initiative Deutschland": Raucherlokale zu erlauben, "legalisiert die Körperverletzung mit Todesfolge" [5]. Wer im Online-Gästebuch der niedersächsischen Landesregierung [6] den Wulffschen Vorschlag verteidigt ("Der Staat soll sich nicht in alles einmischen"), wird sofort als Undercover-Tabaklobbyist verdächtigt, und sei er ansonsten noch so gegen das Rauchen: "Dieser Beitrag stammt niemals von einem Nichtraucher, denn kein Nichtraucher ist heute noch so dumm und fordert tödlichen Passivrauch in Gaststätten"; der Eintrag sei daher "strafrechtlich problematisch" und überhaupt durch den Webmaster zu löschen, denn er "zitiert sämtliche Argumente des VdC (Verband der Cigarettenindustrie)".
Nun wird man zu fast jedem beliebigen Standpunkt Krawallmacher im Internet finden können. Dennoch lohnt ein Blick auf die verschiedenen Strategien, Vertreter von (auch nur gemäßigten) Pro-Raucher-Argumenten zu diffamieren. Die Unterstellung, bestochen worden zu sein, ist dabei nur die offensichtlichste. Die weltweite Tabaklobby hat sich bei ihren Versuchen, die Gefahren des Rauchens zu verharmlosen, wahrlich nicht mit Ruhm bekleckert. Der Verdacht, Andersdenkende seien Büttel des VdC, erfolgt allerdings mittlerweile reflexhaft [7]. Auch wer wie Richard Herzinger in der Welt [8] den "Verdacht, von der Tabakindustrie manipuliert zu sein", selbst zum Thema macht, ist nicht vor dem VdC-Reflex gefeit: "Wer die WELT Redaktion sponsort (...) kann ein Blinder sehen. (...) Offensichtlich schreibt ihr Autor nur dann, wenn der VdC sich großzügig zeigt" [9]. Herzinger müßte in diesem Fall ein sehr reicher Mann sein.
Auch die Strategie der Marginalisierung ("Ich verachte Ihresgleichen, habe bestenfalls herablassendes Mitleid mit einem armen Schwein, wie Sie es sind. Wer raucht denn heute noch: Jugendliche und die Unterschicht!" [10]) ist relativ simpel gestrickt, wird aber unappetitlich, wenn bekannte Techniken der Entmenschlichung hinzukommen. Von Peter Struck heißt es im "Pro Rauchfrei"-Forum [11]: "Die Dümmlichkeit von Herrn Struck, der als suchtkranker Pfeifenkopf der Nation allseits bekannt ist, scheint weiter auszuufern. Als bekanntes Schlaganfallopfer durch Nikotinabusus scheint sein Verstand jetzt restlos im Tabaknebel versunken zu sein. Der Mann sollte sich rar machen, denn sein schlechter Geruch wirkt sogar schon, wenn er nur bildlich mit seiner Sterbehilfe im Mund in Erscheinung tritt." (Struck hatte unter anderem angemahnt: "Was die Höhe eines Bußgeldes angeht, sollten wir nicht überreagieren.")
Die Charakterisierung Strucks als "suchtkranker Pfeifenkopf" verweist auf die verbreitete Strategie der Pathologisierung: Die Meinung von Rauchern ist nicht autonom, sondern Ausdruck einer durch Abhängigkeit verminderten Zurechnungsfähigkeit. "Mit Suchtkranken zu diskutieren lohnt sich eigentlich nicht – die haben eine verzerrte Wunschwahrnehmung – also verschwendet keine Zeit" [12].
Ähnlich umfassend ist auch die letzte Strategie: moralische Diskreditierung und Kriminalisierung. Wer in der Öffentlichkeit raucht, begeht alle möglichen Verbrechen von der Körperverletzung bis zum Mord; zum "Tabakholocaust" [13] ist es nur noch ein kleiner Schritt. Toleranzargumente für das Rauchen haben es da schwer. "Man traut sich ja kaum noch, zu argumentieren und sich damit als Mitglied einer Bevölkerungsgruppe zu outen, die vom öffentlichen Ansehen her nur noch ganz knapp, aber ganz ganz knapp über den Kinderschändern zu stehen scheint", schreibt ein taz-Leser. Letzteres straft ein zweiter sogleich Lügen: "Anderen Abweichlern wie Dieben, Schlägern oder Kindesmißbrauchern habt Ihr bislang – zum Glück – keinen Raum zur Selbstbeweinung gegeben, aber bei Nikotinabhängigen ist das wohl anders. (...) Ihr solltet daran denken, daß es Grenzen gibt, in denen Ihr sozialschädigendes Verhalten unterstützen könnt."
Für alle diese Strategien gilt: Sie entwerten sämtliche Argumente der Gegenseite von vorneherein, weil der sie Vortragende als krank, gekauft usw. gilt, kurz: aus verschiedenen Gründen nicht ernst genommen werden muß. Hier fehlen offenkundig die elementaren Voraussetzungen für einen durch argumentativen Austausch vermittelten Interessenausgleich. Dieser würde voraussetzen, daß die beteiligten Parteien ihre gegenseitige persönliche Integrität achten und einander als prinzipiell gleichwertige Diskussionspartner respektieren. In der Entwertung des anderen als Person ist dagegen bereits der Regelungsmechanismus des Verbotes angelegt.
Diese Strukturierung der Diskussion findet sich auch in der medienöffentlichen Auseinandersetzung wieder. Die Nichtberücksichtigung von Rauchern als Personen mit legitimen Interessen hat hier allerdings häufig eine etwas andere Nuance: Der Raucher wird weniger diffamiert, als daß er erst gar nicht in Erscheinung tritt; übrig bleibt alleine der Rauch, den er erzeugt – als ob der "Qualm" aus dem Nichts käme. In jedem Fall verschwindet der Raucher als ernstzunehmende Person aus dem Diskurs, er bleibt bestenfalls als Feindbild. An einen Kompromiß, einen Ausgleich ist so nicht zu denken. Im Ergebnis hieße das: Raucherzimmer (Zimmer für Raucher!) sind überflüssig, "rauchfrei" hat alles zu sein.
Angesichts der herrschenden Meinung in der Tabakfrage liegt die Denunzierung von Rauchern als "sozialschädigende Abweichler" nicht besonders fern. Die Tabaklobby hat – zu Recht – an politischem Einfluß verloren, stattdessen prägt der Gesundheitsdiskurs die Auseinandersetzung. Den Ton gibt hier seit längerem das Deutsche Krebsforschungszentrum vor, dessen Verquickung von wissenschaftlicher Forschung und aggressiver Lobbyarbeit mitunter irritiert. Beim Thema Passivrauchen lautet dabei die Parole: "Auch kleinste Mengen sind zu viel" [14]. Das schafft die Legitimationsgrundlage einer dogmatischen Haltung: Es geht ums Prinzip; anderenorts heißt so etwas gerne "ideologisch". Die Extremen unter den Nichtraucher-Aktivisten finden sich so auf einmal als Speerspitze der veröffentlichten Meinung wieder. Aber hat eine solche Haltung nicht ihre Berechtigung, wenn es um den "im Grundgesetz verankerten Schutz des geborenen und ungeborenen Lebens" [15] geht? Gilt denn nicht das Argument, das "Pro Rauchfrei" gegen Raucherlokale in Stellung bringt: "Der Gesundheitsschutz vor dem giftigen Passivrauch ist nicht verhandelbar"? [16]
Die Lobbyarbeit des DKFZ verdeckt, daß es bei der zugrundeliegenden wissenschaftlichen Analyse stets um Risiken geht. Der Schutz vor den Gesundheitsrisiken, die der moderne Lebensstil mit sich bringt, ist aber immer schon höchst verhandelbar gewesen. Auch das akzeptierte "Restrisiko" beim Betrieb von Atomkraftwerken besteht in der Vernichtung menschlichen Lebens. Das Prinzip "Kleinste Mengen sind zu viel" stellt einen Fremdkörper inmitten einer Regelungslandschaft dar, die ansonsten auf die Festlegung von Grenzwerten setzt, vom Schadstoffgehalt der Luft über den Anteil gentechnisch veränderten Materials in der Nahrung bis zur Belastung von Produkten mit krebserregenden Nitrosaminen. Daß ausgerechnet dort kein Pardon gegeben wird, wo es nicht um industrielle Produktion, sondern um das Verhalten einzelner (genauer: einer Minderheit) geht, hinterläßt nicht nur bei Rauchern ein schales Gefühl.
Dennoch: Das Ziel des Nichtraucherschutzes würden auch die allermeisten Raucher unterschreiben, wenn man sie nur fragte. Aber eben nicht auf dem Wege von Regelungen, die die Maximalforderung "Rauchfrei!" über alles stellen, selbst an Orten, die ein Nichtraucher ohne Einbußen meiden kann. Dazu ist die Diskussion aber schon zu sehr im Prinzipiellen angelangt. Es verwundert daher kaum, wenn nicht nur über den Kopf der Raucher hinweg entschieden wird, sondern auch für die Raucher gleich mit. Der Schutz Dritter wird zunehmend als Hebel benutzt, um direkt auf die Präferenzen der Raucher zu zielen. Wie sagt doch das DKFZ? "Eine rauchfreie Umgebung ist der beste Weg, die Zahl der Raucher zu vermindern" [17].
Das Verschwinden der Raucher aus dem Diskurs führt derzeit zum Verschwinden der Raucher aus der Öffentlichkeit, das Verschwinden der Raucher insgesamt bleibt das Endziel. Sicher – Rauchen ist "unvernünftig", weil ungesund. Rauchen alleine auf "Gift" und "Sucht" zu reduzieren, funktioniert aber nur unter Vernachlässigung der Sicht der Raucher selbst und taugt daher nicht zu einer allgemeinverbindlichen Beurteilung. Interessen zu ignorieren, weil sie aus der Perspektive eines Lebensstils nichts wert sind, verträgt sich schlecht mit einer pluralen Gesellschaft, die auf der Toleranz unterschiedlichster Lebensentwürfe basiert. Auf diese Weise entsteht durch die Diskussion selbst, genauer: durch die Art, wie sie geführt wird, ein Interesse von allgemeiner Bedeutung, das sich mit dem Wert des Gesundheitsschutzes jederzeit messen kann: der Anspruch, als Person respektiert und vor Bevormundung geschützt zu werden, das Recht auf Genuß – und auf private Unvernunft.
[1] Axel Napolitano (stellvertretender Vorsitzender von Pro Rauchfrei e.V.) im Forum "Betroffene: Passivrauchen in der eigenen Wohnung" (Startseite)
[2] Sprecherin des Verbraucherschutzministeriums laut Agenturmeldung
[3] Ein taz-Leser: "Dabei ist es so offensichtlich, dass hier auf Kosten einer Minderheit agitiert wird, weil sich bei den eigentlich wichtigen politischen Themen derzeit weder global noch lokal was bewegen lässt. (...) Gipfel der Intoleranz: Man möchte sogar 'Raucherkneipen' verbieten, in die niemand – weder Personal noch Gast – hineingezwungen wird. Und dann wäre auch ich als lebenslänglicher Nichtraucher betroffen, weil ich immer die weltoffenere, sozialere, lebendigere und genussfreudige Atmosphäre in Raucherkreisen so sehr geschätzt habe, dass ich den Gestank der Kleider am nächsten Tag gerne toleriert habe."
[4] Die Kritik geht über das Problem des Arbeitsschutzes etwaiger nichtrauchender Angestellter in Raucherlokalen weit hinaus: "Raucher wie Nichtraucher werden mit einer solchen Kennzeichnungspflicht gleichermaßen stigmatisiert. Die Trennung (Apartheid) von Nichtrauchern und Rauchern ist genauso abzulehnen wie ein Davidstern 'R' für die Lokale." ("Die Koalition der Tabakdiktatoren – Angeklagter Christian Wulff". Über das argumentative Kunststück, die Abschaffung von Raucherlokalen zu fordern, ihre Beibehaltung aber mit ihrer Vernichtung zu assoziieren, möge sich jeder selbst Gedanken machen.)
[5] Ernst-Günther Krause, Vizepräsident der Nichtraucher-Initiative Deutschland ("Wulff's 'R'-Vorschlag legalisiert Körperverletzung")
[6] Startseite des Gästebuchs
[7] Nicht ganz unverständlich, umfaßt die Verschwörung doch sogar das Rechtssystem: "Du kennst doch die VdC Diktatur in Deutschland, die auch im Justizministerium ihre Vasallen und Kollaboratöre hat. Na, warum sind denn fast alle Urteile pro-RAUCHER?" (Aus dem "Pro Rauchfrei"-Forum "Betroffene: Passivrauchen in der eigenen Wohnung": Startseite)
[8] Richard Herzinger: "Der Staat verbietet zu viel und zu gern"
[9] Aus dem "Pro Rauchfrei"-Pressespiegelforum (Startseite). Meine eigene Polemik hat dort ähnliche Reaktionen hervorgerufen. Ich kann hiermit aber versichern, daß Geld leider immer nur in die umgekehrte Richtung, hin zur Tabakindustrie, geflossen ist.
[10] Aus einem taz-Leserbrief zu meiner Polemik. Derselbe Verfasser sollte allerdings an seinen Upper-Class-Manieren noch etwas feilen: "Und lassen Sie sich eines gesagt sein: Wenn wir uns einmal begegnen und Sie blasen mir den Rauch einer Zigarette ins Gesicht, dann war das für lange Zeit die letzte Zigarette, die Sie geraucht haben." Bedenklich: Er wohnt in der Nähe.
[11] "Deutschlands Kneipen werden rauchfrei – VdC zieh dich warm an, wir legen jetzt erst los" (Startseite)
[13] Axel Napolitano (stellvertretender Vorsitzender von Pro Rauchfrei e.V.) im Forum "Zeit Verantwortung zu übernehmen!" (Startseite): "Ich sprach vom Tabakholocaust. Wo ist das Problem? Es gibt keinen Exklusivanspruch einzelner Personen oder Gruppen auf bestimmte Wörter einer Sprache (...). Ich finde es bedauerlich, dass hierzulande immer noch gewisse Befindlichkeiten bei der Verwendung einzelner Worte bestehen. Es gibt dafür keinen Grund."
[14] Titel eines Vortrags von Martine Pötschke-Langer (Ankündigung). "Für die im Passivrauch enthaltenen krebserregenden Substanzen können keine Dosis-Schwellenwerte festgestellt werden, unterhalb derer keine Gesundheitsgefährdung zu erwarten wäre. Auch kleinste Belastungen können zur Entwicklung von Tumoren beitragen." (Pressemitteilung "Gesundheitsgefährdung durch Passivrauchen – Deutschland muss handeln")
[15] Pressemitteilung "Schutz der Bevölkerung vor Passivrauchen"
[16] "Die Koalition der Tabakdiktatoren – Angeklagter Christian Wulff"
[17] Martina Pötschke-Langer, zitiert nach ZEIT online. Ähnlich auch Horst Seehofer: Das kommende Gesetz zum Nichtraucherschutz sei ein "Riesensprung nach vorne", der auch zu einer Verhaltensänderung in der Gesellschaft beitragen könne – bei gleichzeitiger Betonung, es gehe nur um den Schutz von Nichtrauchern, nicht um die "Diskriminierung eines Lebensstils" (Agenturmeldung).
Autor: David Fischer-Kerli
Veröffentlichung: Erschienen in: die tageszeitung 09.03.2007, S.13
Auch erschienen in: Michael Scheele: Passivrauch. Tödliche Gefahr oder Hysterie? Wasserburg: POSS Verlag 2008, S.148-153
Leserbriefe: Rauchgenuss und Tabakkultur • Monologischer Vernunftbegriff • Raucher nutzen niemandem • Interessen der Raucher • Der Raucher war noch nie existent • Keine Diskussion, nur noch Trennung