Ha!
Der Hase muß irgendwo hier sein. Es ist dunkel, trotzdem ist er schnell. Aber ich, ich bin der Fuchs, ich bin schlauer als er, ich bin schlau, ich werde ihn finden.
Wie war es? Es war nicht gut. Haltung zu bewahren, aufrecht zu bleiben unter den Vielen, wachsam zu bleiben. Sich nicht hinreißen zu lassen, auch wenn es rief. Immer auf der Hut: Vielleicht ist noch einer von ihnen übriggeblieben. Aber ach, nicht hinreißen sich zu lassen – nicht immer.
"Nein, wieso sollte es?"
Ob ihr Lachen falsch war, hätte er gerne gewußt. Am Ende würde es keinen Unterschied machen, aber er hätte es gerne gewußt. Wenn es einen gab, nahm sie ihn mit in die Tanks. "Doch für alles, was ihr dort zurücklaßt, werdet ihr auch wieder etwas mitnehmen."
Gut: jedenfalls machte es ihr nichts aus. Nicht ihr.
Den Hasen hatte er aus den Augen verloren. Er könnte es sein. Die Schlange war tot, er hatte sie sterben sehen. Aber der Hase könnte es sein.
Manchmal haßte er die heißen Nächte. Manchmal liebte er sie. Kleben von Schweiß auf Haut, Haut auf Haut, Schweiß auf Haut. Sie war natürlich wach. Doch er rührte sich nicht, sie sich nicht. Was sie dachte? Wahrscheinlich träumte sie schon den Tanks entgegen, ein weiteres Mal, ohne zu wissen, daß es nur ein weiteres Mal sein würde. Und er – was sollte er schon denken. Sie bedeutete ihm nichts. Morgen würde sie fort sein, in jeder Hinsicht. Schweiß auf Haut. Doch er traute sich nicht einmal zu atmen, ihren heißen Rücken an sich.
Vergißt du eigentlich gerne? Sag es mir, aber sag es mir mit deiner Haut, dein Mund wird lügen.
Die Häsin? Ich bin der Fuchs, ich bin doch schlau, ich muß es wissen.
Peinlichkeit bedeutete nichts.
"Entschuldigen Sie, aber ich denke nicht, daß Sie ... ach herrje ..."
Natürlich hat sie es gemerkt. Sie sind ja betrunken? Nicht mehr wichtig, der Ekel überlagert alles. Aber sie macht es anständig. Sie machen es eigentlich alle anständig. Aus irgendeinem Grund lassen sie sich ihren Ekel nicht gerne anmerken. Vielleicht haben wir ihnen das noch angedrillt, als letzten Gruß an das lange Jetzt. Aber oh, wie sie sich ekeln.
Ich bin doch schlau?
Peinlichkeit bedeutete nichts, am nächsten Morgen wäre sie aus der Welt.
Ihr Begleiter wurde unangenehm. Das wurden sie immer. Will er dich schützen, will er sein Revier markieren – ich werde dich nicht fragen, du wirst es mir nicht sagen, und wir werden damit leben können. Du bis morgen, ich ein Weilchen länger.
Peinlichkeit bedeutete nichts, aber daß sie nicht einmal diejenige war, für die er sie gehalten hatte, traf ihn.
Vergißt du gerne jede Nacht?
Nach seiner Zählung kam nur noch der Hase in Frage. Der Falke konnte nicht überlebt haben, er starb mit der Schlange in seinen Armen, gegenseitig fest verbissen. Der Sperber war schon alt. Alt und lächerlich. Er spürte das Ende und versuchte sich an das Leben der Vielen zu klammern. Kein Stolz. Keine Gefahr. Auch der Wolf war tot. In seinen letzten Tagen sah er ihn manchmal an seinem großen Fenster, ein riesiger Schatten im Spiegel, wenn er zu nahe an der Scheibe stand. Und es fröstelte ihn, und er lief rasch weiter. Der Wolf war in Würde gestorben, nicht wie die Vielen, deren ewiger Tod ihr ewiges Leben war.
Es machte ihr nichts aus; auch ihm machte es nichts aus, die Vielen in seine Hände zu lassen, eine nach der anderen. Manchmal übergab er sich ohne jeden Grund. Es mußte das Rauchen sein, das verdammte Rauchen.
Nein, ich weiß, ich bin betrunken, es tut mir leid, und ja, ich weiß, ich bin echt, es tut mir aufrichtig leid, bitte, Sie müssen mir glauben, meine Erinnerung ist meine Qual.
Ha!
Wirst du morgen noch da sein? Ich werde es, wie jeden gottverdammten Morgen, und oh, wie ich diese Morgen verflucht habe! Doch du wirst fort sein, ich könnte dir ins Gesicht spucken, daß du dich entrüsten würdest endlich mit Grund, doch du wirst fort sein. Und wenn ich dir wieder einmal begegne, vom Tank tropfst du noch, werde ich derjenige sein, an dem der Speichel klebt. Doch du bedeutest mir nichts.
Der Fuchs, die Häsin. So war es. Und: die Füchsin, der Hase. So war es.
Die Vielen: er haßte sie. Neu geboren jeden Morgen, frei von jeder Vergangenheit; das war das Privileg der Vielen, und dafür haßte er sie. Manchmal fragte er sich, was sie für sie empfand. Wenn sie sich mit ihnen abfinden konnte – hatte sie ihn nicht verraten? Hatte sie den Jäger nicht verraten? Das hatte niemand je getan.
Sie war in der Nähe, er würde sie töten, aber es hatte Zeit. Also blieb nichts zu tun als zu liegen, zu schwitzen, zu schlafen, zu warten. Die Vielen zu erdulden. Es wurde kalt, es regnete, es fiel Schnee, schmutziger Schnee auf die Häuser der Vielen. Wenn sie erst tot war, wenn der Sperber tot war und der Jäger fort, würde nur noch er selbst es wissen. Auch die Vielen würden es wissen, aber es wäre ohne Bedeutung für sie, und er würde der letzte sein. Die Vielen ahnten nichts von manchen Dingen, und das war es, weshalb sie lebten.
Wird den Hasen der Jäger haben? Wird es der Fuchs? Der Jäger ist böse geworden, denn er wurde verraten. Der Fuchs ist schlau, doch das hilft ihm nicht gegen den Zorn des Jägers. Der Hase aber ist schnell.
Er und sie. Welche war er? Am Ende würde er es wissen.
Irgendwie hatte er gewußt, daß sie dort sein würde. Schwimmend in der Menge, versteckt unter den Vielen, doch er hatte instinktiv die Zähne gebleckt, als er um die Ecke bog, bevor er sie noch gesehen hatte. Auch sie hatte es gespürt. So begegneten sie sich langsam, sie tasteten einander mit Blicken ab, sie tasteten einander mit Händen ab, sie sogen einander ein. Er würde sie töten, oder sie würde ihn töten. Etwas anderes würde der Jäger nicht dulden.
Der Fuchs schärft seine Krallen.
Der Hase spannt die Muskeln an.
Ich bin nicht schlau. Aber laufen, laufen kann ich.
Der Fuchs spannt die Muskeln an.
Der Hase schärft seine Krallen.
Und er sah ihre Augen. Und er sah: er wußte, wer sie war. Und sie wußte, wer er war. Und sie sah:
Schnee fiel auf die Häuser der Vielen. Sie lag bei ihm, sie gab ihm ihren Rücken für die Nacht. Er lag bei ihr, er gab ihr Wärme für den Morgen. Eine von beiden würde sterben, denn sie hatten einander erkannt. Aber jetzt war es warm für eine Nacht und friedlich, wo Fuchs und Hase beieinander liegen.